Nur wer lernt, wahr-zu-nehmen, was ihm entspricht, wird aufhören, Fremde für sich entscheiden zu lassen
Interview mit P. Paul Weingartner, Autor und eh. Provinzial des Karmels in Österreich zum Kongress „Christ und Beruf“ in Schönblick / Schwäbisch – Gmünd von 24. – 26. Oktober 2014 (weitere Informationen hier). Das Interview führte Frau Katharina Hoffmann.
kathTreff: Mit Ihrem Buch „Klarheit, die von innen kommt“ möchten Sie auf den inneren Reichtum eines jeden Menschen verweisen, der vielfach unerkannt bleibt. Wie meinen Sie, kann man sich wirklich kennenlernen und von den eigenen Möglichkeiten wissen? Wie findet man Klarheit?
P. Paul Weingartner: Das aufmerksame Hören, Wahrnehmen und Handeln ist der einzige Weg, sich selbst kennenzulernen. Durch das bewusste Einsetzen meiner Sinne begreife ich den Sinn und die Möglichkeiten meines Lebens. Viele von uns müssen dabei erst lernen, das absolut ernst zu nehmen, was ihnen am Herzen liegt. Mit dem Handeln meine ich die konkrete Tat, bei der Absichten umgesetzt und so zu Erlebnissen und Erfahrungen werden. Jeder Mensch kann entdecken, was ihm persönlich wichtig ist. Ebenso hat jeder Mensch – zumindest einen inneren – Spielraum, um seinen besten Anliegen Aufmerksamkeit zu schenken, sie zu schützen und somit lebendig zu halten. Indem die wichtigsten Herzensanliegen ernst genommen werden, wachsen die innere Freiheit und die Kraft der Seele.
Die Zahl der „Selbst-Entscheider“ war zu keiner Zeit groß. Heute zeigt sich dies durch den gewaltigen Einfluss, den die Medien und der Mainstream auf die Gestaltung der einzelnen Lebensgeschichten haben. Nur wer lernt, wahr-zu-nehmen, was ihm entspricht, wird aufhören, Fremde für sich entscheiden zu lassen. Christen vertrauen darauf, dass Gottes Geist sie ganz persönlich und „maßgeschneidert“ – auch aus Sackgassen – zu einem erfüllten Leben führt. Diese Führung geschieht durch die ganz tiefen persönlichen Neigungen und Interessen. Und genau im Ernstnehmen der bedeutendsten persönlichen Anliegen klärt sich der Blick für das Wesentliche.
In der Treue zur innersten Sehnsucht wird die Seele motiviert, wie ein Pfadfinder nach dem Weg Ausschau zu halten, so wie es sich im Vorangehen entweder anbietet oder freigekämpft werden will. Hat nicht jeder Mensch seinen persönlichen Lebensweg erstmals, also als Pionier, zu gehen? Erst durch die konkreten Schritte nütze ich meine Möglichkeiten. Gerade und nur im Zuge des Handelns entfalten sich die in mir angelegten Fähigkeiten.
kathTreff: Viele Menschen füllen ihr Leben mit den unterschiedlichsten Dingen an, die unsere globale Welt in der heutigen Zeit bietet und bleiben dabei an der Oberfläche. Wie sieht in Ihren Augen ein erfülltes Leben aus?
P. Paul Weingartner: Es gibt die Falle, dass Menschen, anstatt auf wirkliche Lebens-jahre zu achten, nur Kalender-jahre sammeln. Auf dem Weg zu einem erfüllten Leben dient uns die Unterscheidung zwischen peripheren und zentralen Begabungen, die jeder Mensch hat.
Als peripher bezeichne ich Fähigkeiten, die zwar gut beherrscht werden können, uns eventuell auch beliebt und zu Engagierten machen, für uns als Person aber nicht „lebenswichtig“ sind. Auf die Verwirklichung peripherer Begabungen könnte auch verzichtet werden, wenn sich anderes als wichtiger erweist. Peripheres nicht verwirklichen zu können, schmälert nicht die tiefe innere Zufriedenheit und verursacht keine Identitätskrise.
Anders verhält es sich mit einer zentralen Begabung, da diese mit der Identitätsfrage verbunden ist. Kann etwas ganz Wesentliches, das für die betreffende Person unersetzlich und identitätsbildend ist, auf Dauer nicht verwirklicht werden, führt dies leicht in eine tiefe Lebenskrise. Eine solche Sinn-, und damit häufig verbundene Glaubenskrise,erfordern eine existentielle innere Stellungnahme und eine Neuorientierung.
Die Fähigkeit und Übung der Unterscheidung zwischen den persönlichen peripheren und zentralen Begabungen hilft uns einen großen Schritt weiter. Daher möchte ich diese wichtigen Fragen, die unsere Lebensqualität wesentlich beeinflussen, nochmals betonen: Worauf könnte ich gegebenenfalls verzichten? Welche Absichten und Ziele darf ich jedoch niemals aufgeben, weil ein solches Aufgeben, wie eine Resignation meinen Lebenssinn und meine Identität gefährden würden? Der aufmerksame Mensch ist in der Lage zu erspüren, was er ohne Verlust an Lebensqualität aufgeben kann, um Neues zu verwirklichen, das seine Lebendigkeit nun mehr fördert. Indem ich meine tiefsten Wünsche kenne und den besten Einsichten treu bin, diene ich dieser Lebendigkeit. Das ist unser Weg zu einem erfüllten Leben, eine durch die Geburt mitgegebene Gabe Gottes und die Frucht eigener Aufmerksamkeit.
kathTreff: Viele Ehen zerbrechen und Beziehungen sind oft nur von kurzer Dauer. Dieses traurige Phänomen verdeutlicht die Oberflächlichkeit und Schnelllebigkeit unserer Zeit und die mangelnde innere Selbsterkenntnis, mangelnde Klarheit. Was würden Sie Singles in ihrer Partnersuche raten? Worauf sollte ihr Schwerpunkt liegen?
P. Paul Weingartner: Singles sollten jede gute Kontaktmöglichkeit unbedingt auch gut nützen. Jedes ungesunde Alleinsein könnte nämlich dazu beitragen, dass der notwendige Austausch zwischen den eigenen Vorstellungen und der übrigen Welt vernachlässigt wird. Bei aller Freiheit und Selbständigkeit darf es nicht zu einem krankmachenden Rückzug in die Isolation kommen.
Aus der Psychologie wissen wir, dass Gespräche, die geführt werden sollten, aber wegen Hemmungen, aus Angst oder Bequemlichkeit, doch nicht geführt werden, sehr leicht unangemessene Interpretationen zu Ungunsten der anderen Person hervorrufen können. Wo Aufklärungsbedürftiges tabuisiert wird, wächst die Gefahr, dem Gegenüber eine wenig wohlwollende oder sogar feindliche Absicht zu unterstellen. Ich nehme an, dass es uns im Dialog mit der Wirklichkeit nicht anders ergeht. Wer aus einer Risikoscheue heraus den persönlichen Kontakt mit der Mitwelt meidet, ist demnach gefährdet, ihr Erschwerendes oder gar Negatives zu unterstellen. Weil sich die aus der Bibel bekannten Spuren des Misstrauens auch in uns finden, fällt es uns nicht immer leicht, den Mitmenschen, Gott und dem Leben offen und engagiert zu begegnen. Mit der Motivation und Kraft des Herzens wird es möglich, dass Beziehung und tiefer Dialog zu einer belebenden Wirklichkeit werden. Weil die gute Haltung in der Begegnung für alle Beteiligten – manchmal unausgesprochen und unbedankt – zur Bereicherung wird, lohnt sich die Mühe.
In jeder aufrichtigen Beziehung wächst die Selbsterkenntnis. Mit ihr verbinde ich vorrangig das Entdecken eigener Möglichkeiten und einen Zuwachs an innerer Freiheit. Ganz allgemein gilt: Nur Persönliches bildet und schützt die eigene Persönlichkeit. Das Pflegen von tiefgründigem Austausch ist nichts für bequeme Menschen. So bleiben tiefe Freundschaften den Bequemen verwehrt. Das Anteil-Nehmen-Wollen am Leben anderer fördert die eigene Lebendigkeit und Weisheit. Somit ist mein heutiges Aufmerksam-Sein für einen Menschen eine spürbare Bereicherung auch für jeden, den ich in Zukunft treffen werde. Wir sind ja füreinander immer diejenigen, die wir durch bisherige Begegnungen geworden sind.
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