von Pater Tilmann Beller, aus “Unterwegs zum Du”
Woher weiß ich, dass Gott mich nicht vergessen hat? Ich spüre jedenfalls nichts von Ihm. Ich spüre überhaupt nicht viel von einer Liebe, die ich bekomme. Ich bin einfach ganz erbärmlich allein. Ich bin allein. Was soll’s, ich mache halt weiter. Irgendwie werde ich überleben. Aber immer wieder kommt der Gedanke: „Wahrscheinlich hat Er mich vergessen.”
Natürlich weiß ich, dass Gott ein gutes Gedächtnis hat. Das ist ja bekannt. Aber ich spüre nichts davon. Er ist einfach nicht da. Und manchmal denke ich nicht einmal solche Gedanken: Es ist einfach nichts da … und ich mache halt weiter. Irgendwo und irgendwie, aber innen kommt es mir vor, als hätte Gott mich vergessen.
Zum Donnerwetter!
Zum Donnerwetter! Hör’ doch auf, dich so wichtig zu nehmen! Hör’ auf, dich selber zu bemitleiden! Natürlich, so schlimm hat’s niemand auf der ganzen Welt. Aber in Wirklichkeit ist das doch alles ein Theater. Und niemand nimmt deine Trübsal, deinen Schmerz, dein Leid ernst. Ja, sie sagen manchmal sogar: „Du hast es gut, du hast keinen Ärger mit deinem Mann oder mit deiner Frau.“ Ja, ja, wenn die wüssten, wie ich leide! Hör’ bitte auf, dir etwas vorzuspielen, etwas, das du selber nicht glaubst.
Es gibt tatsächlich Blinde, die einen Blinden spielen. Sie könnten den Teller, der irgendwo auf dem Tisch steht, mühelos ergreifen, so wie sie es schon hundertmal gemacht haben. Aber stattdessen spielen sie ein Blindentheater. Sie legen die Hände auf den Tisch und suchen mit tastenden Fingern mit kurzen kleinen Bewegungen den Tisch ab, bis sie endlich nach vielen Umwegen den Teller entdeckt haben und mit einem Aufatmen an sich nehmen, sodass alle Beteiligten wirklich sehen, wie schwer ihr Leben ist. Es gibt unverheiratete Menschen, die Unverheiratete spielen. Die sich erlauben, sich selber leid zu tun.
Die Versuchung des Selbstmitleids
In dieses Programm des Selbstmitleids gehört das eindrucksvolle Wort: „Ja, auch Gott hat mich vergessen.“ Vielleicht merken sie das gar nicht, dass sie Theater spielen. Aber wir wollen uns nicht täuschen: Man kann ein solches Theater genießen. Das Kreisen um sich selbst tut nicht nur weh: Es ist auch ein Genuss. Und immer wieder geraten wir in die Versuchung des Selbstmitleids. Wir selbst sind dann der Mittelpunkt unseres Denkens. Liebe ist nicht mehr nötig – und nicht mehr möglich.
Es gibt aber auch anderes: Da ist die Ferne Gottes ein Teil einer Liebesgeschichte. Das erleben alle, die mit Gott verbunden sind. Es beginnt mit einer großen innigen Verbundenheit mit dem Herrn. Das ist eine Seligkeit, in der man verweilen möchte. Aber dann schickt Gott sehr schnell das Gefühl, Er wäre weg. Man nennt das Trockenheit. Man spürt nichts mehr von Ihm. Warum schickt Er diese Zeit? Er will, dass unsere Liebe größer, selbstlos wird. Wir suchen in solch einer Liebesschule nicht mehr uns selbst, die Freude, die Seligkeit, die wir empfinden, wenn der liebe Gott uns verwöhnt. Wir suchen Ihn selbst durch die Dunkelheit hindurch. Wir sagen: „Mach’ mit mir was Du willst. Ich gehöre Dir.“
Gefühle sind wie die Wolken
Das Gefühl wechselt. Es gibt Zeiten der Seligkeit bei Gott und Zeiten, wo wir das Gefühl haben, er hätte uns vergessen. Und die Zeiten, wo wir das Gefühl haben, dass Er uns vergessen hat, werden im Allgemeinen schwerer, nicht leichter. Es wachsen aber auch die Zeiten der Seligkeit. In diesem Bereich hält sich Gott an keine Regeln. Aber wir glauben, dass Er hinter solchen Dunkelheiten steht und darauf wartet, dass wir sagen: „Ich komme!“
In diesem Fall bedenken wir noch ein anderes: Wir Menschen sind in unserem innerseelischen Erleben miteinander verbunden. Die Nähe eines Menschen, der glücklich und froh ist, tut uns gut. Die Nähe zu einem Menschen, der seelisch leidet, lässt uns mit ihm leiden. Das ist auch in unserer Beziehung zu Gott der Fall.
Um uns herum sind viele, die nicht glauben und die mit Gott nichts anfangen können. Wenn wir uns durch die Dunkelheiten unseres Lebens hindurch kämpfen und unserem Gott sagen: „Du kannst mir schicken, was Du willst, ich glaube daran, dass Du mich liebst“, dann tragen wir andere mit durch und helfen ihnen, in ihrer seelischen Leere Gott zu finden. Das ist ganz praktisch. Wenn wir uns sehr schmerzlich so fühlen, als ob Gott uns vergessen hätte, dann sagen wir, „da braucht mich jemand“, und lieben durch das Dunkel unseren Gott weiter.
Ein göttliches Lächeln
Später, wenn wir schon ein wenig „erwachsener” geworden sind, geschieht dies mit einem Lächeln. Das ist dann gleichsam so, als sagte uns der liebe Gott „Geht’s noch? Oder brauchst du eine Pause?“ Und wir sagen: „Natürlich brauche ich eine Pause.“ Und Gott lächelt und sagt: „Okay, aber vergiss’ nicht, es ist nur eine Pause. Da braucht dich jemand.“ Wenn unsere Liebe groß geworden ist, dann entsteht auch — jedenfalls manchmal — ein Lächeln, ein göttliches Lächeln in einem menschlichen Weinen.
Zum Buch: https://www.kathtreff.org/blog/wegweiser-fur-singles/
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