Manchmal kommt es mir vor, als ob ich im anderen meinen Vater oder meine Mutter suche. Kann ich darauf eine Beziehung aufbauen?
von Pater Tilmann Beller, aus “Unterwegs zum Du”
Das darf sein. Es gibt in der Beziehung zum Partner eingeschlossen und verborgen die Beziehung zum Vater oder zur Mutter in einer neuen Gestalt. Ein Mädchen aus einer guten Familie heiratet in gewissem Sinne immer auch ihren Vater, das heißt einen Menschen, auf den sie Erlebnisse mit dem eigenen Vater überträgt, in dem sie die Züge ihres Vaters lieben kann, und dem sie kindlich begegnet. Ähnlich wird es bei einem jungen Mann sein. Er sucht in seiner Frau nicht nur eine Mutter – sondern seine Mutter.
Eine Frau sucht eben in ihrem Partner auch das Kind, jemanden der sich ihr anvertraut; jemanden für den sie Mutter und Königin sein kann; jemanden, der bei ihr Geborgenheit, Halt und Sicherheit sucht. Ein Mann sucht in seiner Frau immer auch das Kind, das sich ihm anvertraut; das Kind, das sich bei ihm geborgen fühlt. Das hat er bei seiner Mutter nicht gehabt, wo er der Kleine war. Die Begegnung mit dem Ehepartner bringt aus der Tiefe der eigenen Seele etwas Neues hervor, was in der Beziehung zu den Eltern noch nicht da war.
Aber auch das genügt nicht: Etwas Neues liegt auch in der Komponente der Partnerschaft, in der sich Mann und Frau als gleich starke Gefährten begegnen und sich einander oder einem gemeinsamen Projekt zuwenden. Solch ein Gefühl einer gleichwertigen Partnerschaft ist in aller Regel nicht gegeben, wenn eine Frau ihrem Vater oder ein Sohn seiner Mutter begegnet.
Mein Partner darf bei mir Kind sein und sich bei mir auch als Kind erleben und wohlfühlen. Er ist aber auch gleichzeitig bei mir gleichberechtigter Partner. Er kann auch für mich Vater oder Mutter sein. Es kommt also nicht so sehr darauf an, dass der Partner konkret die Züge meines Vaters daheim hat, es kommt darauf an, dass er für mich der Große, der König sein kann.
Wenn ich in meinem Partner meinen Vater suche, oder suche, was ich bei ihm nicht erlebt habe, also den idealen Vater, dann ist das in Ordnung. Aber das genügt nicht. Mein Ehepartner muss für mich mehr sein als mein Vater, der wirkliche oder der erträumte. Hier geht es um eine andere seelische Wirklichkeit. Wenn wir von „Partner“ reden, geht es auch um Gefährtenschaft, um gleichberechtigte Zusammenarbeit, gegenseitiges „Großsehen“, Zusammenhalten in Schwierigkeiten, ein Wir, das auf gleichem Recht beruht.
Und ein anderes ist unerlässlich, nämlich dass ich meinem Partner gegenüber auch mütterliche und väterliche Gefühle haben darf und habe. Ein solcher Wechsel in den Gefühlen stellt sich oft kurzzeitig und schnell ein. Einmal belehre ich meinen Partner, einmal belehrt er mich. Einmal lasse ich mich von ihm kindlich beschenken, einmal beschenkt er mich wie sein Kind. Alles das ist eine ganz andere Welt der Beziehung als die Welt, in der einer nur den Vater oder die Mutter von einst sucht.
Zum Buch: https://www.kathtreff.org/blog/wegweiser-fur-singles/
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