Von Gudrun Sailer, Vatican News
Radio Vatikan: Immer mehr Länder Europas verhängen Ausgangssperren zur Eindämmung der Pandemie. Das ist notwendig, aber eben auch ein schwerer Eingriff in die persönliche Freiheit. Sie leben mit Ihren Mitschwestern in einer Art selbstgewählter Ausgangssperre, eben in Klausur. Was schätzen Sie daran?
Äbtissin Christiana Reemts: Ich würde sagen, zunächst die Möglichkeit, sich auf das Wesentliche und das heißt auf Gott und die Menschen zu konzentrieren. Wir versuchen das zu tun, was der Heilige Gregor der Große in der Lebensbeschreibung des Heiligen Benedikt das „Bei sich Wohnen“ nennt. Tatsächlich haben wir ja eine Art Wüste gewählt, oder in einem moderneren Ausdruck das, was man kreative Monotonie nennen können. Das heißt, ein Leben, das gerade dadurch, dass es nicht ständig Abwechslung und Zerstreuung bietet, uns fähig macht, wirklich schöpferisch zu sein, wirklich zuzuhören, wirklich das zu tun, was wir im Tiefsten wollen.
Radio Vatikan: Zum Leben in Klausur gehört der strukturierte Tagesablauf mit festen Gebetszeiten, festen Essens- und Schlafzeiten. Das ist außerhalb von Klöstern unüblich geworden. Wozu verhilft ein minutengenau geregelter Tagesablauf? Was lässt sich daraus lernen, wenn man zu Hause in unfreiwilliger Klausur ist?
Äbtissin Christiana Reemts: Struktur hilft, nicht völlig den Medien und dem Starren auf die Fallzahlen zu verfallen. Ich würde Menschen vorschlagen, schauen Sie nur einmal am Tag, wie die Fallzahlen gestiegen sind, hören Sie nicht ständig, was irgendwelche Experten sagen, sondern tun Sie auch noch etwas, was wirklich gut für Sie ist und was Sie weiterbringt.
Radio Vatikan: In ganz Deutschland können keine öffentlichen Gottesdienste mehr stattfinden. In den Klöstern schon, weil es feste Gemeinschaften mit immer denselben Teilnehmenden sind. Wenn Sie sich die eucharistische Not vieler katholische Gläubiger in diesen Tagen und Wochen vergegenwärtigen: In welchem Bewusstsein feiern Sie als Nonnen die Eucharistie?
Äbtissin Christiana Reemts: Uns wird in diesen Tagen etwas deutlicher, was wir als theologische Wahrheit eigentlich immer gewusst haben, aber manchmal muss sich im Äußeren etwas ändern, dass man es auch existentiell begreift. Ich denke, uns wird in diesen Tagen deutlich, dass unser Gebet keine Privatsache ist, sondern ein Auftrag der Kirche und Gottes zum Heil der ganzen Welt. Wir stehen nicht nur für uns vor Gott, sondern stellvertretend für alle. Wir beten nicht nur darum, dass wir in Mariendonk gesund bleiben, sondern wir beten für alle Menschen. Das wissen wir im Grund immer, aber meinen Mitschwestern und mir wird es jetzt fast bei jedem Psalmvers bewusst. Wenn wir zum Beispiel beten: Sei mir gnädig, Herr, ich sinke dahin, heile mich, Herr. Meine Seele ist tief verstört. Du aber Herr, wie lange zögerst du noch? Das sind die Psalmen, gegen die wir uns vielleicht in anderen Situationen wehren, weil sie so hart sind – jetzt erhalten sie eine neue Relevanz.
Radio Vatikan: Wenn Sie ein paar Monate in die Zukunft schauen, was erfüllt Sie mit Hoffnung? Was können wir miteinander aus diesen Wochen, dieser Fastenzeit 2020, gelernt haben?
Äbtissin Christiana Reemts: Ich würde mir schon wünschen, dass sich unsere Prioritäten verändert haben. Dass wir ein Stück gelernt haben, das Wesentliche von Unwesentlichem zu unterscheiden. Vielleicht würde es eine neue Wertschätzung der Sakramente, besonders der Eucharistie geben. Sicher nicht gesamtgesellschaftlich, aber vielleicht zumindest bei den Katholiken. Ich würde mir wünschen, dass wir gelernt haben, nicht so sehr in der Zukunft zu leben, sondern das Hier und Heute mit Dankbarkeit und Freude zu ergreifen. Ich würde mir ein neues Bewusstsein dafür wünschen, wie sehr wir einander brauchen und wie gut es ist, sich live begegnen zu können. Und ich könnte mir vorstellen, dass eine andere Dankbarkeit in uns hochkommt, wenn wir unsere Freiheit neu gewonnen haben. Und last not least: Vielleicht könnten wir in Zukunft Ärzten, Pflegepersonal, Verkäufern und Verkäuferinnen bis hin zu den Arbeitern, die in den Fabriken Toilettenpapier herstellen, mehr Respekt entgegenbringen und sie besser bezahlen. Ich denke, wir brauchen auch Eventmanager, Fußballspieler und Tätowierer. Aber die eigentlichen Helden sind in der jetzigen Situation andere. Und das sollten wir nicht vergessen haben.
Ein herzlicher Dank an VATICAN NEWS, dass wir das Interview (in gekürzter Form) verwenden dürfen!
Link zum Anhören sowie zum Nachlesen des gesamten Interviews: https://www.vaticannews.va/de/kirche/news/2020-03/corona-krise-aebtissin-mariendonk-christiana-reemts-medienkonsum.html
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