Einsamkeit als Wegweiser
Interview mit Pater Paul Weingartner, Autor und ehem. Provinzial des Karmels in Österreich, zum Kongress „Christ und Beruf“ in Schönblick / Schwäbisch – Gmünd von 24. – 26. Oktober 2014 (weitere Informationen hier). Das Interview führte Frau Katharina Hoffmann.
kathTreff: Sie waren insgesamt neun Jahre als Provinzial des Karmel in Österreich und auch mit anderen Leitungsaufgaben betraut. Wie haben Sie Ihre Berufung zu einem gottgeweihten Leben erkannt?
P. Paul Weingartner: Meine Berufung zum Priestersein ist mir bewusst geworden, als ich etwa 19 Jahre jung war. In den Jahren zuvor begegnete ich jungen Menschen, deren Glaube an Jesus großen Eindruck auf mich machte. Es wuchs in mir die Freude daran, mit anderen über die zahlreichen Fragen zum Sinn des Lebens und über Gott auszutauschen. Durch Impulstreffen, Jugendmessen und gute Freunde erkannte ich zunehmend, dass Gott eine ganz persönliche Beziehung zu mir haben möchte. Ich bemerkte: Je intensiver ich mich auf das Leben mit Gott einließ, desto konkreter erlebte ich das Von-Ihm-Geführt-Werden. Zunehmende Freude und Begeisterung für ein Leben mit Jesus, sowie ein stark anwachsendes Vertrauen auf Gottes Führung waren spürbar. Ich wollte nicht mehr ohne dem sein, was Gott mir zugedacht hat und so versuchte ich mit den Einladungen Gottes Schritt zu halten. In relativ kurzer Zeit hat sich aus meinem Lieblingsthema, ganz gegen jede Erwartung, ein völlig neues Lebensthema herauskristallisiert: Zur Freundschaft mit Jesus einzuladen, wie ich es selbst durch befreundete Christinnen und Christen erlebt habe. Bald konnte ich nicht mehr anders, als in dieser starken inneren Motivation auch Gottes Willen zu sehen. So folgte eine Phase des inneren Ringens um größere Klarheit. In der ganzen Jugendzeit hatte ich ja niemals daran gedacht, auch ehelos ein sehr zufriedener Mensch sein zu können. Ich merkte nun, dass ich mein bisheriges Hobby, mit Menschen „über Gott und die Welt zu reden“, zu meinem Beruf machen soll. Als Zwanzigjähriger entschloss ich mich, meine Arbeit als Karosseriespengler aufzugeben, um als „Spätberufener“ den Ausbildungsweg zum Priestersein zu beginnen.
kathTreff: Die meisten Menschen sind auf der Suche nach der eigenen Berufung. Häufig fühlen sich Singles in ihrem Stand etwas verloren. Viele verspüren Einsamkeit. Wie können Singles ihre persönliche Berufung entdecken?
P. Paul Weingartner: Ich meine, dass jeder Mensch seine persönliche Berufung nur als „Single“, also „im Alleingang“ finden kann. Dabei denke ich besonders an die innere, aber auch an die äußere Freiheit.
Mit der inneren Freiheit untrennbar verbunden ist ein seelisches Befinden, das in zweifacher Weise wahr-genommen werden kann: Einerseits als willkommene Offenheit hin zu beglückender Weite, andererseits als schmerzliche Einsamkeit, die wir lieber nicht empfinden würden. Durch den Glauben komme ich aus dieser existentiellen Einsamkeit zur inneren Gewissheit der Beheimatung in Gott.
Ich bin davon überzeugt, dass ohne den Preis der innerlich spürbaren Einsamkeit keine persönliche, intime Gottesbeziehung, keine „maßgeschneiderte“ Berufung und keine gut entfaltete Persönlichkeit heranwachsen können. Die innere Einsamkeit ist ein von außen nicht manipulierbarer Bereich der freien Wahl. In dieser Tiefe, unterhalb der Gefühlsebene, liegt somit jede Verantwortung und Entscheidung für mein Tun und Lassen einzig bei mir. Hier kann ich von Augenblick zu Augenblick der Freundschaft mit Gott und den Menschen zustimmen.
Tatsache ist, dass sich in den besten Freundschaften und Partnerschaften eine gewisse bleibende Resteinsamkeit findet. Aus unserer Seelenmitte kommt ein natürliches Sehnen nach Beziehung, das aber auf rein menschlicher Ebene nicht zu Gänze gestillt werden kann. Es ist spürbar, dass sich die Erwartungen der Seele, von ihrem Wesen her – somit wesentlich – auch auf Gott richten. Trotz unerfüllter Wünsche kann unser Innerstes in Gottes Liebe eine unendlich tief erfüllende und bleibende Geborgenheit erleben.
Mit demselben intensiven inneren Engagement, durch das ich mich in die Gottesbeziehung einbringe, will meine Seele auch den Menschen begegnen. Die persönlichere Begegnung wage ich gewöhnlich zuerst bei jenen, bei denen mir das Vertrauen und das Ehrlich-Sein am wenigsten schwer fällt. Dabei kann ich mir sicher sein, dass jeder ehrliche Versuch der Begegnung zu einer Bereicherung für alle Beteiligten wird, auch wenn Sehnsüchte ungestillt bleiben. Echtheit und Ehrlichkeit sind immer eine Wohltat, sogar dann, wenn sie als unangenehme Provokation wenig Zustimmung finden. Freiheit, Mut und Vertrauen wachsen, indem wir sie einsetzen und einander aufrichtig begegnen wollen.
In welcher Tiefe auch immer wir die Liebe eines Menschen erleben können, wir erahnen in uns eine noch größere innere Welt. Genau dorthin vermag ich die Aufmerksamkeit des Herzens zu richten, um von dorther, wie Mose das „Ich bin da“ Gottes wahrzunehmen. In dieser Begegnung will Gott mir sein „Herzensanliegen“ für mich – meine Berufung – bewusst machen.
kathTreff: Viele flüchten sich in der heutigen Zeit in ihren Beruf. So spürt man auch die Einsamkeit weniger. Karriere und Erfolg wird mit Berufung gleichgesetzt und viele Jahre verstreichen. Die innere Stimme verklingt langsam. Kann es häufig zu spät sein für die eigentliche Berufung?
P. Paul Weingartner: Viele Menschen nützen sehr wertvolle Jahre der ersten Lebenshälfte vorwiegend dazu, um Geld zu verdienen, ohne dabei auf ihre persönliche Berufung Rücksicht zu nehmen. Manche vermitteln den Eindruck, als wäre für sie die äußere Existenzsicherung nicht bloß ein vorrangiges, sondern sogar das einzige Anliegen. Berufung betrifft aber das Engagement und die Zufriedenheit aller Lebensbereiche. Kein Bereich kann ohne Schaden für längere Zeit ausgeblendet werden.
In einer Unzufriedenheit mit dem Beruf sehe ich noch kein Problem. Sie kann und soll zu sinnvollen Veränderungen motivieren. Gefährlich aber wäre eine innere Resignation, die sich manchmal, ganz heimlich und fast unbemerkt, breitmachen will. Dabei wächst die Versuchung, die innere Stimme zu ignorieren. Dies geschieht häufig durch die Frustration aufgrund der Differenz zwischen Wunsch und Realität. Es ist jederzeit möglich damit zu beginnen, der inneren Stimme gegenüber achtsamer zu sein.
Das lange Aufschieben von Entscheidungen, die jetzt getroffen werden sollten, kann sich biographisch nachteilig auswirken. Ich kann etwas versäumen, denn die Verwirklichung bedeutender Lebensentwürfe wird, wenn sie zum Beispiel einige Ausbildungsjahre benötigen, durch das Aufschieben immer schwieriger oder gar unmöglich. Ein klarer Blick für mein Ziel bewahrt mich davor, wertvolle Zeit, Kraft und Emotionen für etwas einzusetzen, das später den Geschmack der Unzufriedenheit und Leere zurücklässt.
Jeder Mensch ist zu größter Lebendigkeit berufen, also zu Liebe, Freude und Dankbarkeit. Wer danach strebt, ist auf dem Weg zu einem erfüllten Leben, zur tiefen Verbundenheit mit Gott, den Menschen und seiner Schöpfung. Das ist zu jeder Stunde möglich.
Lesen Sie ein weiteres Interview mit P. Paul Weingartner hier: Klarheit, die von innen kommt!
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